In einem anderen Land…

Wie ist es eigentlich, in einem anderen Land mit anderer Kultur und gar einem anderen Alphabet zu leben? Diese Frage hat ja gerade eine gewisse Aktualität. Ich habe dreieinhalb Jahre in Korea gelebt und so meine Erfahrungen mit dem Thema sammeln können. Zugegeben, ich hatte vor meinem Aufenthallt keine Ahnung von der koreanischen Kultur. Die Berichterstattung in den deutschen Medien ist dahingehend ziemlich einseitig. Entweder der nordkoreanische Führer insziniert auf seinen Paradeplätzen wieder einmal militärisches Ballett oder Samsung veröffentlich sein neues High-End Galaxy Phone.  Abgesehen davon bekommt man ja nicht viel mit. Und wenn man ganz ehrlich ist, selber informieren wird man sich ja erst, wenn dann mal eine Reise in das entsprechende Land ansteht. Viel tiefer muss man ja nicht in fremde Kulturen einsteigen. Mit der Entscheidung, meine neue Stelle in dem 8200 km entfernten Land anzutreten, bin ich demnach mehr oder weniger in das kalte Wasser gesprungen.

Ich nehme es gleich vorweg, der Kulturschock hielt sich in Grenzen. Vielleicht lag das gerade daran, dass ich aufgrund meiner Unwissenheit mit geringen Erwartungen in dieses Land gereist bin. Andere Ausländer waren, wie ich das so mitbekommen habe, dem Leben in Korea gegenüber negativer eingestellt. Was ist jetzt also das Geheimnis, welches einem als Ausländer einen positiven Einstieg in eine fremde Kultur ermöglicht? Die Antwort ist denkbar einfach: Meiner Meinung nach ist es

Ein Lächeln und Aufgeschlossenheit!

Zugegeben, manche Menschen sind dafür mehr geboren, als andere – ich zähle mich wohl mehr zu den Anderen. Eine gesunde Skepsis ist mir in die Wiege gelegt worden. Aber eigentlich ist jeder Mensch in der Fremde doch ein wenig vorsichtig, oder? Zum Beispiel behält man doch grundsätzlich seine Wertsachen dicht bei sich und lässt sie schon gar nicht unbeaufsichtigt liegen. Es ist ja gerade in den Städten mittlerweile schon der Normalfall, dass von einem möglichen Diebstahl ausgegangen werden muss, genauso wie jeder herrenlose Koffer gleich eine Bombenentschärfung veranlasst. Die Zunahme solcher Fälle ist uns ja zu Genüge aus unserem Land bekannt, wie wird es da erst im Ausland sein!? Oder dann das Problem mit fremden Essen. Wer ist nicht skeptisch bei dem Gedanken etwas Unbekanntes zu essen? Ein Kugelfisch ist da so ein schönes Beispiel – Man hat ja bereits in Deutschland von dieser Delikatesse gehört und weiß, dass das Gift dieses Fisches tödlich sein kann. Warum in aller Welt sollte man da bitte einen Kugelfisch essen!?!? Die Antwort auf letztere Frage hängt wohl mit der angesprochenen Aufgeschlossenheit zusammen. Hierzu meine Geschichte:

In meinen ersten drei Wochen in Korea war ich glücklicherweise nicht allein unterwegs, sondern mit Thomas. Thomas ist in vielen Dingen das komplette Gegenteil zu mir. Skepsis ist für ihn wohl eher ein Fremdwort. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass er schon von klein auf die verschiedensten Länder bereist und verschiedenste Kulturen kennengelernt hat. Was ihm dabei wohl immer geholfen hat, war sein angeborenes Lächeln. Mit Thomas hatte ich von vorn­he­r­ein eine Person an meiner Seite, mit der man zusammen viele Hürden meistern konnte. In der Tat, war eine dieser Hürden so ein kleiner Kugelfisch, sonst könnte ich mich wahrscheinlich nicht so genau an den Abend erinnern. Man muss allerdings dazu sagen, dass ich mir generell nicht viel aus Fisch machte. Demnach war ich am Abend des 6. Juli 2013 schon skeptisch, überhaupt in ein Fischrestaurant zu gehen. Ich ließ mich jedoch von Thomas überzeugen.

Kurz nach Betreten des Restaurants wurden wir an einen Tisch mit Stühlen geführt. Das ist in Korea durchaus nicht  immer der Fall. Man sitzt traditionell auf dem Boden, auch in diesem Restaurant. Mir ist im Laufe der Jahre sogar aufgefallen, dass die wirklich guten Restaurants häufig keine Stühle haben. Wie dem auch sei, wir saßen also am Tisch und versuchten mit breitem Lächeln die rein koreanische Karte zusammen mit unserem Freund „Google“ zu übersetzen. Wer Google kennt und schon mal in Korea war, weiß, wie weit wir bei dem Versuch gekommen sind. Wären wenigstens Bilder in der Karte gewesen, hätten wir uns wahrscheinlich auch schnell entschieden. Leider war dem nicht so. Also musste eine von den typischen jungen Bedienung ran, die sich nebenberuflich mit „Arbeit“ etwas dazu verdienen. Das Beherrschen der englischen Sprache schien zu diesem Zeitpunkt im Süden von Korea auch weniger üblich, daher war auch die verbale Kommunikation in schlecht ausgeführter Landessprache trotz des Lächelns erfolglos. Zum Glück hatte die Bedienung ihren Freund „Naver“ dabei (heute Naver papago Translate), welcher um einiges mehr mit der Übersetzung in die englische Sprache vertraut war. So erfuhren wir letztendlich, dass in diesem Fischrestaurant ausschließlich der berühmte Kugelfisch serviert wurde. Jetzt war die Skepsis natürlich am Siedepunkt angekommen! Man landet zwei Wochen nach seiner Ankunft in Korea in einem Kugelfischrestaurant. Was macht man jetzt in einer solchen Situation? Im Wesentlichen hat man jetzt als westlicher Ausländer zwei Möglichkeiten:

  1. Man zeigt den Asiaten, wie westlich man wirklich ist und verlässt das Restaurant. Alle Vorurteile, die der Asiate gegenüber dem „weißen Mann“ hatte werden bestätigt und jeder der Beteiligten lebt weiter mit seiner unbeschädigten Weltanschauung, oder
  2. Man springt über seinen Schatten, setzt seine Weltanschauung auf den Prüfstand, und hat gleichzeitig die Möglichkeit, ein paar der Vorurteile gegenüber westlichen Ausländern abzubauen.

Mal ehrlich, eigentlich kann ein gut besuchtes Restaurant, indem es ausschließlich Kugelfisch gibt, nicht gefährlich sein, oder!? In solch einer Situation ist jedoch die Logik dem Bauchgrummeln weit unterlegen und man überlegt als unerfahrener Ankömmling doch ein wenig länger. Eins ist gewiss, nach so einer andauernden Koreatherapie legt man einen guten Teil seiner Skepsis Unbekanntem gegenüber ab. Die Entscheidung im Restaurant zu bleiben und zu bestellen sollten wir jedenfalls nicht bereuen. Das Essen war so lecker, dass ich im weiteren Verlauf meines Aufenthaltes fast jeden einzelnen Gast in dieses Restaurant geführt habe, mit gutem Gewissen jedes mal ein Festessen serviert zu bekommen.

Nun ist Essen bekanntlich ja nicht alles, auch wenn es in Korea einen großen Anteil an der Kultur hat. Der Satz „Hast du schon gegessen?“ dient unter Freunden als freundliche Begrüßung. Freundlichkeit, oder besser Höflichkeit ist in den asiatischen Kulturen fester Bestandteil des Alltags. Dementsprechend sollte man sich als Gast anpassen, womit wir von der Aufgeschlossenheit zum freundlichen Lächeln kommen.

Man stelle sich die geschilderte Situation im Fugu-Restaurant einmal mit einem arroganten Ausländer vor, der weder lächelt noch den Versuch unternimmt, sich in der Landessprache zu verständigen. Irgendwann versperrt sich doch auch die freundlichste Bedienung gegenüber solcher Sturheit. Ich habe gerade in den touristisch aktiven Gegenden (also Seoul 😉 ), erlebt, dass man mich als potentiellen Touristen erst einmal argwöhnisch Willkommen heißt, mit dem Wissen, dass Touristen in der Regel nicht die koreanische Sprache beherrschen. Ein Lächeln signalisiert jedoch gleich seine Bereitschaft zur Kommunikation und damit wiederum eine gewisse Aufgeschlossenheit gegenüber seinen Mitmenschen. Ja, als Berliner darf man das schon mal anmerken, wir sind ja schließlich bekannt für unser Lächeln. 😛

Hat man sich dazu entschlossen, Neuem zu begegnen und sich mit freundlichem Gemüt ein wenig an die Kultur anzupassen, bietet gerade das Land Korea jede Menge Eindrücke, die auch Fragen über die deutsche Kultur und damit verbundene Gewohnheiten aufkommen lassen. Im folgenden will ich ein paar meiner positiven Eindrücke teilen, die das Land Korea so lebens- und liebenswert machen.

Eine Sache, die mir immer wieder besonders positiv auffällt, ist die Ehrlichkeit der Menschen in Korea. Was dir nicht gehört, das nimmst du dir auch nicht! Diebstähle sind hier eher die Ausnahme und man muss auch nicht immer seine Wertsachen im Auge behalten. Im Restaurant signalisiert man z.B. gerne mal mit seinem Smartphone oder seiner Geldbörse auf dem Tisch, dass man nur mal kurz um die Ecke ist, oder vor der Tür eine Zigarette abbrennt. Man stelle sich solch eine Situation einmal in meiner Heimatstadt Berlin vor, mittlerweile in der Kriminalitätsstatistik ja ganz oben angekommen. Dort wird ja schon das Smartphone vom Tisch geklaut während man noch am Tisch sitzt. Ja das passiert wirklich, gerade den koreanischen Touristen in Berlin. Koreaner sind solche Zustände, die ja in „good old Germany“ mittlerweile schon als normal angesehen werden, nicht bekannt. Mal eben den Straßenfeger (Berliner Obdachlosenzeitung) zum Verkauf anbieten, über das Telefon halten, und darunter verschwindet mit geschicktem Handgriff dann das frisch erworbene Smartphone. In Korea hingegen gibt es damit keine Probleme. Dort bleibt in der Regel alles an seinem Platz, auch der Koffer, der einfach vor dem Restaurant im Bahnhof stehen gelassen wird. Videoüberwachung im Land und ein hartes Durchgreifen der Behörden tragen dazu bei, Diebstähle zu minimieren. Als Ausländer gibt man dazu bereits bei der Einreise ins Land seine Privatsphäre auf, nicht ohne Grund. Das Abnehmen der Fingerabdrücke und ein Profilbild, welches bei der ersten Einreise ins Land aufgenommen wird, erleichtern den Behörden das Auffinden von Personen nach Straftaten. Damit muss man wohl oder übel leben, wenn man ins Land einreisen möchte, ansonsten bleibt nur der Rückflug. Dafür bekommt man aber ein Sicherheitsgefühl, dass es in Deutschland wahrscheinlich nur noch in den abgelegensten Dörfern gibt, inklusive.

Ein weiteres Highlight in Korea ist für mich das Angebot an Möglichkeiten, seine Freizeit zu gestalten. Was heißt das eigentlich? Jeder der einem Job nachgeht, bei dem man gefühlt den ganzen Tag in der gleichen Position verharrt, kennt es. Am Abend ist man einfach verspannt. Was macht man jetzt also am besten um sich zu entspannen? Genau, man setzt sich in sein Sofa und guckt fern. So sieht doch in der Regel das Leben des durchschnittlichen Deutschen aus, oder!? Wenn ihr anderer Meinung seid, dann benutzt doch einfach mal die Kommentarbox, ein bisschen Interaktion schadet ja nicht. Ich erzähl euch jetzt einfach mal, wie das Ganze in Korea aussieht: Nach der Arbeit zieht es den Koreaner nicht in sein Apartment zum Ruhen, sondern nach draußen, um sich fit zu halten. Wie geht das besser als bei  einem Spaziergang am Fluss oder einem kleinen Abstecher zum Fitnesspark auf dem nahegelegenen Berg. Erst letztens wollte ich mich mit meinen mittlerweile fast 35 Jahren schon wieder für ein Platz in einem deutschen Seniorenheim bewerben, als ein junger Kerl, so 85+, am Reck einen sauberen Hüftaufschwung hinlegte. Da fällt man vom Glauben ab! Mein letzter Hüftaufschwung liegt bereits 20 Jahre zurück und heute ist da gar nicht mehr dran zu denken. Wenn ihr denkt, dass ist die Ausnahme, dann gebe ich euch bei dem koreanischen Recksenior vielleicht recht, aber fit halten tut sich dort die Mehrheit. Abends, wenn man in Berlin eigentlich nur noch zum Drogen kaufen in manche Parks geht, beginnt das Leben in den koreanischen Parks erst aufzublühen. Da es gerade in den Sommermonaten tagsüber heiß ist, und die Sonne einem die Haare vom Kopf brennt, wird meist erst am Abend damit begonnen, sportlich aktiv zu werden. Dementsprechend sind die Wege entlang der Flüsse auch spät noch mit Menschen übersäht. Manche gehen einfach nur spazieren, manche fahren Rad, joggen entlang der weichen Tartanbahn, dehnen und strecken sich, oder probieren sich an den zahlreichen öffentlichen Fitnessgeräten. Nicht umsonst wird die westliche Bevölkerung von den Asiaten als füllig angesehen. Ich habe keine Ahnung warum es in Berlin und woanders so zahlreiche Menschen gibt, die öffentliches Eigentum so unpfleglich behandeln oder gar Vandalismus betreiben. Sobald von unserer Regierung etwas Ähnliches in öffentlichen Parks bereit gestellt werden würde, kann man sich doch sicher sein, dass es spätestens nach einer Woche beschmiert und nach einem Monat nicht mehr funktionsfähig ist. Aber auch das ist ja mittlerweile schon normal und in breiten schichten der Bevölkerung so akzeptiert. Was ich z.B. in Berlin seitens der Politik nicht verstehe, ist der Verkauf von flussnahem Bauland an Privatbesitzer. Hier könnte man stattdessen der gesamten Bevölkerung die Möglichkeit geben, sich fit und gesund zu halten indem man Wege entlang der Flüsse angelegt. In Korea sind ufernahe Gebiete grundsätzlich potenzielles Überflutungsgebiet, da das Land zu 70% aus Bergen besteht. Im Falle eines Taifuns, wie es z.B. am 5. Oktober 2016 in der Stadt Ulsan der Fall war, gibt es so jede Menge Platz für das Wasser. Diese Flächen werden mit öffentlichen Wegen bebaut, die auch schnell mal nach einem Hochwasser erneuert werden können.  Bei diesem Taifun stieg allerdings innerhalb weniger Stunden der Pegel um etwa 7 Meter an. Da hilft dann auch mancher so großzügig angelegte Deich nicht mehr. Natürlich muss in solch einem Falle die Infrastruktur saniert werden, dafür hat jedoch der lokale Platzhirsch Hyundai unbürokratisch mal eben 5 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt. Das ist mal ein beachtlicher Betrag.

Damit kommen wir auch gleich zu einer weiteren von mir gemachten Beobachtung. In Korea tragen nämlich nicht nur Großunternehmen wie Hyundai dazu bei, das Leben lebenswerter zu machen, sondern auch Banken. Man höre und staune! Ja Banken, die Institutionen, die sich in der Vergangenheit ja nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert haben und scheinbar doch lieber mit Geld wetten, als es sinnvoll zu investieren. In Korea sind viele der Wanderwege, Parks, Gipfelsteine, Aussichtsplattformen, Museen und so weiter von Firmen und Banken gesponsert. Vielleicht ist es mir bis dato einfach nicht aufgefallen, da man seine Umwelt in einem fremden Land viel intensiver wahrnimmt, in Deutschland sponsern Firmen doch bei weitem nicht so viel für die Öffentlichkeit, oder!? In den Gärten der Welt in Berlin z.B. sind die asiatischen Gärten auch von asiatischen Trägern finanziert worden. Den Eintritt kassieren natürlich die Betreiber der landeseigenen Grün-Berlin GmbH. Aber zurück nach Korea: In meinem Artikel zum kleinen Cheonggyecheon, ein Bach der durch das Zentrum von Seoul fließt, habe ich bereits beschrieben, welchen Stellenwert städtische Natur in Korea genießt. Dort wo einst ein Highway die aufstrebenden Industrieviertel mit dem Rest der Stadt verbunden hat, ist heute ein Naherholungsgebiet entstanden, welches den Einwohnern und Touristen die schnelle Flucht aus dem Stadtleben ermöglicht. Das sich auch die Stadt und die Natur in einem Gleichgewicht befinden sollte, ist ja schon in der koreanischen Flagge verankert.

Es ist unglaublich, wie viel es doch über dieses Land zu berichten gibt und wie schnell man Zeile für Zeile füllt, ohne das einem nicht wieder etwas neues einfällt. In diesem Sinne will ich diesen Beitrag erst einmal abschließen und weitere Erinnerungen in anderen Beiträgen verarbeiten. Als Abschluss empfehle ich den Film „다른 나라에서“ von 홍상수 („In einem anderen Land“ von Sang-soo Hong). Neben den Vorlieben des Regisseurs zu Zigaretten und Max-Bier spiegelt der Film doch auf eine interessante Weise das koreanische Leben und das Image von Ausländern in Korea wieder. Viel Spaß beim Erleben. 🙂

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